1. Böses Erwachen
Komm nur komm, umarm die Wölfin
Du wirst nicht gefressen werden
Denn sie leidet keinen Hunger
In den Dörfern, bei den Herden
Komm
nur komm, greif nach der Schlange
Längst ist all ihr Gift versiegt
Auf dem Bauch ist sie gekrochen
Und der Staub hat sie besiegt
Böses Erwachen
Komm nur komm, geh mit den Schafen
Die allein zur Schlachtbank traben
sicher wird man dich verschonen,
Sich am Blut der ander'n laben
Komm nur komm, geh durch das Feuer
Denn es schützt dich ja mein Wort
geh für mich zur ander'n Seite
Dort lebst du dann ewig fort
Böses Erwachen
Komm nur komm zum Kreuz gekrochen
Zu dem Kreuz, das du verachtest
Das du noch vor ein paar Wochen
In den Staub zu treten dachtest
2. Die Rose Im Wasser
Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten
So treibt ihr schlanker Körper auf der Flut
So bleich und kalt ist sie, daß eine Weide
viel Blätter auf sie weint in stummer Qual
Und rings umher im Wasser blühen Rosen
Der Liebsten die Roten
Die Weißen den Toten
Am Ufer hockt ein alter Salamander
Und hebt den Drachenkopf ins Sonnenlicht
Er weiß nichts von den Schmerzen einer Jungfrau
Von Grausamkeit und auch von Liebe nichts
Und rings umher im Wasser blühen Rosen
Der Liebsten die Roten
Die Weißen den Toten
Das Abendrot vergoldet ihre Wangen
Ein Aal schlüpft über ihre weiße Brust
Und durch die Zweige geht ein letzter Seufzer
Ein Hauch von Trauer und ein Hauch von Lust
Und rings umher im Wasser blühen Rosen
Der Liebsten die Roten
Die Weißen den Toten
3. Henkersbraut
Macht hoch die Tür, das Tor macht weit
Es kommt die Braut voll Herrlichkeit
Sie hat gehurt, sie hat geklaut
Streut Blumen für des Henkers Braut
Kein Myrtenkranz im schwarzen Haar
Kein Schleier und kein Traualtar
Kein Priester für das Ritual
Der Bräutigam verfemt und kahl
Er nennt sie leis sein kleines Weib
Und mustert ihren dürren Leib
Die Gästeschar im Lumpenkleid
Drängt sich um sie und lacht und schreit
Macht hoch die Tür ...
Einst war sie schuldlos wie ein Reh
Und ihre Haut wie junger Schnee
Doch in dem Weizenfeld am Haus
Da trieb man ihr die Unschuld aus
Sie hat in einer dunk'len Nacht
Ihr kleines Kindlein umgebracht
Das ungeboren in ihr schlief
Das sich nicht wehrte und nicht rief
Macht hoch die Tür, das Tor macht auf ...
4. Sabbat
Die Nacht ist heut gewitterschwer
Der Berg ist voll von Lärm und Licht
Und im heißen Fackelmeer
Hat nichts mehr menschliches Gesicht
Trommeln schlagen, Funken fliegen
Alles kreischt aus vollen Lungen
Und im Kreis der Feuer liegen
Nackte Leiber eng umschlungen
Noch bevor der Morgen graut
Küßt der Bräutigam die Braut
Hoch am Firmament die Sterne
Sind mit Wolken dicht verhängt
Schwarz umschleiert ist der Becher
Der das rote Blut empfängt
Geigen kreischen, Hörner schallen
Schwarze Schatten nähern sich
Und der Schwärzeste von allen
Zeigt sich nackt und königlich
Noch bevor der Morgen graut
Küßt der Bräutigam die Braut
Um Schlag Zwölf um Mitternacht
Wird der Hochzeitsakt vollbracht
An den Feuern, Haut an Haut
Küßt der Bräutigam die Braut
5. Minne
Du bist reich, du bist schön
Gestern hab' ich dich gesehn
Und nun sehn' ich mich nach deinem
süßen Munde
Augen sanft wie Mondenschein
Rosenblätter würd' ich streu'n
Verse schenkt ich dir aus tiefstem
Herzensgrunde
Doch unerreichbar fern bist du auf ewig
Frommer Wunsch wird es sein
Der mir fuhr ins Herz hinein
Und seitdem verfluch' ich jede volle Stunde
Ich bin arm, du bist reich
Meine Hände sind nicht weich
Denn die Welt ist alles and're als ein Garten
Wo viel' bunte Blumen blüh'n
Rosen, Veilchen und Jasmin
Und so muß ich bis zum jüngsten
Tage warten
Tränen brennen heiß in meinen Augen
Ach was ist mit mir gescheh'n
Seit mein Auge dich geseh'n
Alle Zeit verfluch' ich jede volle Stunde
6. Tag Der Rache
Wenn einst der Himmel tobend, brüllend, rasend
Die Städte peitschend und das Meer zerblasend
Auf Erden wütet ohne Sinn und Segen
Dann stell ich mich dem Strafgericht entgegen
Wenn plötzlich alles, was die Augen sahen
Zu Staub zerfällt, weil schwarze Reiter nahen
Wenn Menschenwerke fallen und versinken
Dann werd ich ihnen schon von weitem winken
Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla
(Tag der Rache, Tag der Sünden
wird das Weltall sich entzünden)
Dann stürzt auf uns ein Heer mit grellem Lachen
Und bläst zur Rache an dem kranken, schwachen
Und ach so jämmerlichen Erdentreiben
Zur Reinigung von Menscherbärmlichkeiten
Ich werd' nicht winseln und um Gnade flehen
Nicht auf dem Boden kriechen, sondern stehen
Der Richter wird sich feierlich erheben
Dann zeigt sich, was es wert war, dieses Leben
Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla
7. Das Opfer
Ich konnte das Opfer nicht töten
Es sah mich traurig an
Es zerrte so an seinen Stricken
Bedrängte mich mit seiner Angst
Ich bin voller Haß auf dich, Meister
Daß du solche Taten verlangst
Du wirst mein Versagen bestrafen
Doch wirst du mich niemals versteh'n
Ich geiß'le mein Fleisch, um zu
büßen
Um über die Brücke zu geh'n
Ich hab' meinen Meister verraten
Im Morgengrau wirst du mich holen
Dein Wille wird sicher gescheh'n
Ich glaub', ich brenn dort auf dem Hügel
Ich kann ihn durch's Fenster schon seh'n
Am Himmel verblassen die Sterne
Ich hoffe, der Morgen wird kalt
Sonst ist dieses Feuer so sinnlos
Mein Meister erwartet mich bald
Ich konnte das Opfer nicht töten
Es sah mich traurig an
Ich hab' meinen Meister verraten
Weil ich es nicht getan
8. Ohne Liebe
Ein Bursche war, den sie gern sah
Der gab ihr das Geleit
Da war im Wald ein stiller Fleck
Dort blieben sie zu zweit
Sie lag und sah zum Sternenkreis
Das Haar im feuchten Moos
Der Bursche legte ungeschickt
Die Hand in ihren Schoß
Er hat sie berührt
Ohne Liebe sie verführt
Ein zweiter kam, der nahm sie mit
Auf's Linnen weiß und rein
In diesem Linnen, dachte sie
Will ich begraben sein
Er küßte ihre Haut mit Lust
Und war erschrocken fast
Wie sie, so jung, so fiebernd heiß
Und zitternd ihn umfaßt
Er hat sie berührt
Ohne Liebe sie verführt
Ein dritter und ein vierter kam
Da tat's schon nicht mehr weh
Die Kälte kroch ganz langsam ihr
vom Scheitel in den Zeh
Und als der fünfte von ihr ging
Gefror sie ganz und gar
Das Fieber kam nie mehr zurück
Und grau wurde ihr Haar
Er hat sie berührt
Ohne Liebe sie verführt
9. Aufstand
Nun sag, mein Freund, ist es nicht Zeit
Für Abrechnung und Strafe
Vielleicht reißt morgen schon der Wolf
Den Hirten und die Schafe
Nun sag, mein Freund, soll aus dem Pflug
Ein breites Schwert jetzt werden
Die Sense biegt zum Spieß sich um
Der Wolf bedrängt die Herden
Nun sag, mein Freund, wie soll ich Axt
Und Morgenstern umfassen
Die Herde zittert schon vor Angst
Der Hirt' hat uns verlassen
Nun sag, mein Freund, ist es nicht Zeit
Daß wir den Wolf erschlagen
Wird aus der Pflugschar jetzt kein Schwert
Wird er uns selber jagen
Bruder, du bist tief gefallen
Aufstand, Aufstand
Wachsen dir nicht endlich Krallen
Aufstand
Mein Freund, bald kommt der Sieg zu uns
Man kränzt uns unser Haupt
Der Wolf liegt tot im eignen Blut
Und Schild und Schwert verstaubt
Mein Freund, mein Freund, sei auf der Hut
Und achte auf das Schaf
Schleif jeden Rost von deinem Schwert
Sei wachsam noch im Schlaf
Bruder, du bist tief gefallen
Aufstand, Aufstand
Wachsen dir nicht endlich Krallen
Aufstand, Aufstand
Bruder, du bist tief gefallen
Bruder, du bist ...
Aufstand
10. Müde
Ach ich bin von dieser Welt so müd
Geboren, verloren, zum Sein auserkoren
Nicht fragen, nur tragen, nur geh'n, nicht verstehn
Gegangen, gefangen, am Ast aufgehangen
Als lebloser Körper im Winde sich drehn
Ich hab keinen Glauben, ich hab nur mein Lied
Ach ich bin von dieser Welt so müd
Gefunden, verschwunden, es brennen die Wunden
Vom Wandern zerschunden, am Flußufer steh'n
In Wellen versunken, vom Wasser betrunken
Von Steinen gehalten, am Grunde vergeh'n
Ich hab keinen Glauben, ich hab nur mein Lied
Ach ich bin von dieser Welt so müd
Gefunden, verschwunden, betrunken, versunken
Gegangen, gefangen, geboren, verloren
Ich hab keinen Glauben, ich hab nur mein Lied
Ach ich bin von dieser Welt so müd